24. Dezember

Jimmys Gesicht war das Erste, was Eb wieder wahrnahm. „Alles klar bei Dir?“ frage der Postbote besorgt und half Eb beim Aufstehen. „Tut mir leid, ich habe Dich nicht kommen sehen!“ sagte Jimmy, und hielt Eb einen kleinen Stapel mit Postkarten entgegen. „Hier, die wollte ich Dir vorbeibringen. Weihnachtskarten, von all Deinen Freunden. Von Deiner Familie. Und von Julius und Herbert, aus Deiner Stammkneipe. Und Dein Kumpel Lindi hat eine Karte geschickt, frisch aus Bali! Ist das nicht toll?“ Eb hörte gar nicht mehr zu. „Geh jetzt bitte, Jimmy, ich möchte alleine sein“. Traurig schlich Eberhard herüber zur Eingangstreppe, und schaute auf die Scherben seines Geschenks. Alles war zerbrochen, nichts mehr zu retten. Und von drinnen, aus seiner Höhle, hörte er schon leise Weihnachtsmusik, und seine Bärbel, die fröhlich vor sich hin sang. Anscheinend hatte sie noch nichts gehört. Aber das half ihm jetzt auch nichts. Alles war aus! Er hatte mal wieder alles vermasselt! Eberhard legte seine Stirn gegen die eiskalte Höhlenwand. Er war müde, sogar zu erschöpft zum Weinen. Nur eine einzelne kleine Träne kullerte seine Wange entlang und fror an seinem Kinn fest. Schöne Weihnachten!
„Hoho, frohe Weihnachten“ rief eine sonore Stimme herüber. Eb hob den Kopf. Und tatsächlich: direkt in seiner kleinen Einfahrt parkte ein prächtiger Schlitten, gezogen von zwölf stattlichen Rentieren (das hatten die Tierschützer irgendwann durchgesetzt). Und vom Schlitten stieg gerade, etwas ungelenk, der gewaltige Allerwerteste des Weihnachtsmanns herunter. „Hallo Eb, und frohe Weihnachten, hoho“, sagte der Weihnachtsmann, den alle hier in der Gegend nur Klaus nannten. Eb hatte ihm letzten Sommer bei einer Kufenpanne geholfen. „Hallo Klaus“, sagte Eb, und schüttelte die ihm entgegengestreckte Hand. „Wie sieht's aus?“ „Och, bei mir gut,“ erwiderte Klaus, „aber DU siehst irgendwie gar nicht gut aus. Alles in Ordnung?“ „Naja, ich hab' 'nen sehr langen Tag hinter mir“, erwiderte Eb. Er war zu müde, um alles noch im Detail erzählen zu müssen. Er versuchte, schnell das Thema zu wechseln: „Was führt Dich denn hierher. Ich dachte, Du hättest heute Abend wieder genug zu tun?“ Klaus lachte herzlich, und strich sich mit der Hand durch den weißen Rauschbart. „Das kann man wohl sagen! Ich bin heute dienstlich hier. Deine Frau hat mir heut morgen einen Brief geschickt.“ Und so zog er einen verknitterten rosa Umschlag aus seinem Mantel hervor. Natürlich war es genau der Brief, den Eb heute morgen für Jimmy aufgehoben hatte. Ungläubig starrte Eb den Brief an. „Normalerweise bearbeiten wir so kurzfristig keine Wunschzettel mehr“, fuhr Weihnachtsmann Klaus fort, „aber für einen guten Kumpel machen wir natürlich eine Ausnahme.“ Sprachs, und zog einen zweiten Umschlag hervor, aus dickem Pergament, mit einer großen roten Schleife. „War gar nicht mehr so leicht, am letzten Tag an zwei Flugtickets in die Karibik ranzukommen. Cancun, Mexico. Zwei Eisbären, Vollpension, Luxus-Suite. Und vergesst Eure Badesachen nicht!“ Klaus lachte, und began sich umständlich seine rotweißen Handschuhe wieder anzuziehen. „So, ich muß mal wieder auf Maloche. Muß heute noch knapp sechs Milliarden Menschen glücklich machen. Das schlaucht ganz schön. Mach's gut!“ sagte der Weihnachtsmann und kletterte wieder auf seinen 12 PS-Schlitten. Er entriegelte Wegfahrsperre und Handbremse, rief einmal laut „Hohoho“, setzte mit einem Schulterblick elegant rückwärts aus der Einfahrt, und flog dann lachend in Richtung Polarstern, eine glitzernde Spur aus Sternenstaub zurücklassend.
„Frohe Weihnachten,“ flüsterte Eberhard, der Eisbär, dem Schlitten hinterher. Er nahm den Umschlag mit den Flugtickets, und ging langsam in Richtung Höhlentür. Es fing wieder an zu schneien, und Eb ließ verwundert einige Flocken auf seine Pranke fallen. Dann stieg der die kleine Treppe herauf, und klopfte vorsichtig an, einmal, zweimal. Drinnen hörte das leise Singen verstummen, und hörte, wie jemand schnell herüber zur Tür gelaufen kam. Eb kannte diese Schritte. Und er liebte sie. Als Bärbel ihm öffnete, schaute er Ihr tief in die Augen. „Ich bin wieder zu Hause“, sagte er, gab ihr einen zärtlichen Kuß, und nahm sie dann in seine Arme.

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